"TSCHICK" (von Wolfgang Herrndorf, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Berlin 2010)
Es ist ein Vergnügen, wie sie rumgefahren waren, wie sie sich mit dem Lada überschlagen hatten, wie Horst Fricke auf sie geschossen hatte. Die Sache mit der Mondlandschaft, die Sache mit den Schweinen und hunderttausend andere Sachen.
Mit der Mondlandschaft habe ich mich erinnert an meine erste Reise nach Berlin 1967, als ich bei der Mauer einen Spaziergang gemacht und ein sehr großes Gelände voll von nutzlosen Gleisen vorgefunden habe.
Ich finde dieses Buch überhaupt sehr sympathisch. Gegen meine fast sichere Erwartung ist die Hauptfigur dieses Romans nicht Tschick (Andrej Tschichatschow), sondern Maik Klingenberg. Wahrscheinlich ist es besser so, weil Klingenberg - als Erzähler - fähiger ist, uns die wahren Eigenschaften Tschicks zu erklären.
JACK KEROUAC ?
Obwohl ein großer Teil der Handlung auf der Autobahn spielt, will Wolfgang Herrndorf Jack Kerouac nicht imitieren.
EIN GROSSER UNTERSCHIED
Einen großen Unterschied sehe ich zwischen "On the road" und "Tschick": Sal Paradise und Dean Moriarty sind keine Kinder. Während man "Tschick" liest, kann man weinen, aber das halte ich für unmöglich beim Lesen Kerouacs Romans.
Allerdings könnten die Abschnitte über die Friedmann Familie, die Tschick und Klingenberg unterwegs treffen (Seite 126 und f.), in "On the road" geschrieben sein...
"DIE STERNE ÜBER UNS..."
Herrndorf hat einige schöne Absätze, an die ich mich für immer erinnern werde. Zum Beispiel:
"...Die Sterne über uns wurden immer mehr. Wir lagen auf dem Rücken, und zwischen den kleinen Sternen tauchten kleinere auf und zwischen den kleineren noch kleinere, und das Schwarz sackte immer weiter weg.
"Das ist Wahnsinn", sagte Tschick.
"Ja", sagte ich, "das ist Wahnsinn..." (Seite (120)
"DER DORFSHERIFF HATTE UNS NICHT GESEHEN..."
Andere Abschnitte sind wirklich spannend. Hier z.B. haben wir:
"...Der Dorfsheriff hatte uns nicht gesehen. Er kurbelte nur an den Pedalen seines Fahrrads, zog ein Schlüsselbund aus der Tasche und versuchte, die abgegangene Kette wieder aufs Ritzel zu drücken. Das funktionierte nicht..." (Seite 135)
Eigentlich kann man die Angst Tschicks und Klingenbergs tief mitfühlen...
UND WAS IST MIT DER LIEBE?
Über die Liebe habe ich auch sehr interessante und realistische Passagen gefunden. Ich erinnerte mich an ein Gedicht von Joan Maragall, als ich gelesen habe:
"Isa hatte ihr T-Shirt noch immer nicht angezogen, und vor uns lagen die Berge mit ihrem blauen Morgennebel..." (Seite 171).
Und J. Maragall hatte gesagt:
"Ell, sense esma de dir un mot,
la mirava, la mirava..." (1)
"... AUCH SCHWUL ZU WERDEN..." (Seite 214)
Diese Idee finde ich gleichzeitig lustig und ernsthaft, weil Klingenberg, später, noch einmal dieselbe Idee erwähnt, als er bei seinem eigenen Tod zu sein denkt (Seite 223)
DIE NACHT
Die Nacht ist in Herrndorf ein dauerndes Thema. Er kommt auf Seite 219 darauf zurück:
"...(die Nacht)... Jetzt war es eine ganz neue Welt, eine vollkommen andere Welt als bei Tag, es war als hätte ich auf einmal Amerika entdeckt..."
Und nachdem ich diese Sätze verdaut habe, muss ich in meinen eigenen Erinnerungen suchen, und auch ich erinnere mich daran, wann ich zum ersten Mal eine Nacht gesehen hatte...
"TOSENDER APPLAUS BRANDETE AUF..."
"...Tosender Applaus brandete auf... Nur war ja gar kein Publikum da..." (Seite 225)
Das halte ich für ziemlich genial. Es ist einer dieser Abschnitte, die der Schriftsteller, langsam an den Leser denkend, geschrieben hat...
"DIE WAHRSCHEINLICHKEIT..."
"Die Wahrscheinlichkeit, dass mich jemand verarschen wollte, war relativ groß..." (Seite 238).
Es sind solche Zeilen, die uns beweisen, dass Herrndorf wahrscheinlich eine genau gleiche Lage erfahren hat, als er 14 Jahre alt war...
EIN TOLLER SOMMER
Schließlich muss ich sagen, dass die Einleitung bis zum Anfang der Reise mir zu lang erschienen war. Und es ist auch meine Meinung, dass es ein toller Sommer gewesen war...
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(1) Maragall, Joan; "Glosa", pàg. 63 de les "Obres completes", editorial Selecta, Barcelona 1947.